Benutzer:Modran/Kosma: Unterschied zwischen den Versionen

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Die wenigen Nuancen von verwaschenem Grau - hier und dort unterbrochen durch die Farbtupfer parkender Fahrzeuge und überkritzelter Werbeplakate – hatten es längst verlernt, seine Aufmerksamkeit für sich in Anspruch zu nehmen.
 
Die wenigen Nuancen von verwaschenem Grau - hier und dort unterbrochen durch die Farbtupfer parkender Fahrzeuge und überkritzelter Werbeplakate – hatten es längst verlernt, seine Aufmerksamkeit für sich in Anspruch zu nehmen.
  
Beide Hände in den Taschen einer viel zu tief sitzenden Jeans, die Augen dezent auf einen imaginären Punkt zehn Zentimeter vor seinen Zehenspitzen konzentriert[1], die Gedanken an einem möglichst weit davon entfernten Ort, nahm Max - ebenso wie die Dinge - seinen gewohnten Gang.
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Beide Hände in den Taschen einer viel zu tief sitzenden Jeans, die Augen dezent auf einen imaginären Punkt zehn Zentimeter vor seinen Zehenspitzen konzentriert[http://kamelopedia.mormo.org/index.php?title=Kamel:Modran/Kosma#1 1], die Gedanken an einem möglichst weit davon entfernten Ort, nahm Max - ebenso wie die Dinge - seinen gewohnten Gang.
 
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Mit Zen war Max gut vertraut.

Version vom 28. Januar 2006, 04:06 Uhr

Kapitel 2: Ballistik

Das Leben ist wie ein Sauermilchkäse. Es stinkt, doch wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat, und Schwarzbrot, Zwiebel und Kümmel hinzufügt, kann man gar nicht mehr genug davon bekommen. - J.P.Lennox


Es war ein Tag wie jeder andere, keiner weiteren Erwähnung wert, an dessen fortgeschrittenem Morgen Max dieselbe (nicht erwähnenswerte) Straße wie an den meisten Tagen (sogar an erwähnenswerten) hinunter schlenderte. Die wenigen Nuancen von verwaschenem Grau - hier und dort unterbrochen durch die Farbtupfer parkender Fahrzeuge und überkritzelter Werbeplakate – hatten es längst verlernt, seine Aufmerksamkeit für sich in Anspruch zu nehmen.

Beide Hände in den Taschen einer viel zu tief sitzenden Jeans, die Augen dezent auf einen imaginären Punkt zehn Zentimeter vor seinen Zehenspitzen konzentriert1, die Gedanken an einem möglichst weit davon entfernten Ort, nahm Max - ebenso wie die Dinge - seinen gewohnten Gang. Nicht, daß irgend etwas ungewöhnlich gewesen wäre. Wie gesagt.

„Morgen, Kalli“ murmelte er, als er an der Bushaltestelle vorbeikam, ohne dabei die Blickrichtung auch nur ansatzweise zu variieren. Es gab schließlich keinen Grund anzunehmen, der freundliche Gruß würde nicht erwidert werden. Es war ein Tag wie jeder andere, oder nicht? Oder nicht ??? „Morgen, Max“ grummelte die Bushaltestelle zurück. Na bitte!

Ein paar Schritte weiter vorn wurde eine Haustür aufgerissen. Ein Mantel schoß heraus, der von einem brilletragenden Glatzkopf hastig übergeworfen wurde, während er (der Glatzkopf) die Stufen mehr hinunter stürzte als lief, sich gleichzeitig von oben bis unten die Taschen abklopfte - und ganz allgemein einen trostlosen Eindruck erweckte. „Rechte Jackettasche“ murmelte Max. Mit dem linken Bein noch halb in der Luft (Max fragte sich jedesmal, wie der haarvermissende Fielmann-Clubkunde dies vollbrachte) hielt der glatzköpfige Brilleträger plötzlich inne, wand seinen Oberkörper um hundertachtzig Grad negativen mathematischen Drehsinns und rief verzweifelt: „Wo sind jetzt wieder die Autoschlüssel, Schatz?“

Max tarierte das Timing seines Schlenderns präzise aus, um nicht mit dem bebrillten Autoschlüsselvermisser zu kollidieren. Ein Polizeiwagen schoß vorbei. Eine Katze warf eine Mülltonne um, nachdem ihr jemand auf den Schwanz getreten war, der seinen Schlüsselbund nicht finden konnte. Hinter einem Fenster fügte ein erfolgloser Autor seinem jüngsten Roman ein paar bedeutungslose Sätze hinzu, um die aktuelle Seite zu füllen. Na und? Wer ohne Schuld ist, soll den ersten Stein werfen.

Als Max um die Ecke Richtung Bahnhof bog, hörte er noch leise die Worte „Du hast sie in die rechte Tasche Deines Jacketts gesteckt, Schatz.“ hinter sich im lauwarmen Südwestwind verhallen. Gelangweilt verdrehte er die Augen. Fast im selben Moment rutschte er auf einer Bananenschale aus und fiel der Länge nach aufs Kreuz.

Gut, das ist jetzt wirklich lächerlich, billigster Slapstick, echt schon ein Grund, sein Geld zurückzuverlangen.

Doch es war nun einmal so. Es widerstrebt mir, irgendetwas zu beschönigen, nur um die Auflage zu erhöhen oder mich dem Pulitzer-Komitee anzubiedern.

Fürderhin dürfte es dem geneigten Leser inzwischen unzweifelhaft ins Auge gesprungen sein, daß, wäre dies wirklich ein Tag wie jeder andere, keiner weiteren Erwähnung würdig, er der Erwähnung auch nicht inhärent geworden wäre. Stimmen Sie mir zu, mein lieber Watson? Dies hier war kein gewöhnlicher Tag. Es war der erste Tag in der Geschichte der Menschheit, der nur 23 Stunden hatte. Und Bananen sind gar nicht so verkehrt.

Doch zurück zu Max. Die regenbogenschillernde Pfütze, in der er bei weitem nicht so viel an Gewicht verlor, wie es der von ihm verdrängten Wassermasse entsprochen hätte, hatte für ihn so ganz und gar nichts schillerndes an sich. Fast wie festgemauert auf der Erde, und Worte gebrauchend, die nun wirklich nicht erwähnenswert sind, kam Max dann doch wieder auf die Beine. Er versuchte ein Weilchen, seine Bekleidung durch Verreiben des Schmutzes von demselben zu befreien, bevor er die Sinnlosigkeit seines Treibens erkannte. 12,327 Sekunden später stellte er die entsprechenden Bemühungen ein. Wütend kickte er nach der heimtückischen Krummfruchthülle und bekam erneut Gelegenheit, Archimedes' Gesetz zu falsifizieren.

Nun traf es sich aber so, daß Max weder sonderliches Interesse für Physik, noch für griechische Geschichte an den Tag legte (es sei denn es ging darum, einen guten Demestica zu entkorken).

Seine ganze Aufmerksamkeit galt in diesem Moment eher dem kleinen, runden Objekt, welches über seinem Antlitz schwebte, scheinbar die Allgemeine Relativitätstheorie ignorierend, und - definitiv die Harmonielehre ignorierend - arhythmisch blinkte und piepte.

Kalli, der trotz seiner geographischen Nähe keinerlei Kenntnis von diesen Geschehnissen nahm, schob gerade träge seine Bettdecke beiseite, auf welcher in großer, serifenfreier Schrift verkündet wurde, welche Probleme sich bei der Scheidung eines mutmaßlich berühmten Ehepaares ergeben hatten und daß irgendeine Krankheit epedemial um sich griff. Außerdem war ein Bild von einer barbusigen Brünetten darauf* (einer Bildunterschrift zufolge lautete ihr Name Sabrina und sie wartete auf den Klempner). Auch diesen sicherlich wichtigen Dingen gelang es virtuos, Kallis Wahrnehmung in hohem Orbit** zu umgehen, als er damit begann, seine Morgentoilette zu erledigen.

Vögelein zwitscherten fröhlich, Autos lärmten stinkend und Passanten schwiegen eilig und desinteressiert. Sich matt in den Plexiglasscheiben spiegelnd, welche die Fahrpläne vor unbefugtem Zugriff schützten (bzw. dies sporadisch erfolgreich versuchten), kämmte sich Kalli mit den Fingern seiner linken Hand Laub aus den Haaren.

Die rechte betätigte einen imaginären Wasserhahn, öffnete dann das unsichtbare Rasierschränkchen und entnahm ihm pantomimisch etwas, das nicht wie ein Rasiermesser aussah. Dessen ungeachtet vollführte Kalli nacheinander alle Bewegungen, die üblicherweise notwendig sind, um sich seiner Wangenbehaarung zu entledigen.

Als hinter ihm quietschend der 253'er Linienbus zu stehen kam und stöhnend seine Türen öffnete, drehte er nur ansatzweise sein bärtiges Haupt und maulte: „Besetzt!“

„Morgen Kalli, laß Dich nicht stören“ sagte eine junge Frau, die eben aus dem Bus ausgestiegen war und nicht stören wollte. „Ich möchte mir nur kurz deinen Lippenstift ausleihen“. Sie kicherte unhörbar.

Kalli wischte sich mit einem (realen) Handtuch übers Gesicht, während er sich umdrehte*. „Tut mir leid“, sagte er, „der ist gerade ausgegangen. Aber er wollte in einer halben Stunde zurück sein.“ Kein Augenzwinkern oder Stirnrunzeln. Nein, natürlich nicht, dafür war der Gag zu alt. „Morgen Lisa.“

„Kann man nichts machen. Ist Max schon durch?“ fragte Lisa wie jeden Morgen. „Vor fünf Minuten, wie jeden Morgen“ sagte Kalli wie jeden Morgen. „Sah nicht gut aus, der Junge. Der braucht mehr frische Luft!“ „Das habe ich ihm auch schon beizubringen versucht. Woraufhin er bei der Tankstelle einen Kompressor geklaut hat.“ Lisa ließ die Schultern hängen. „Der Bursche braucht eine Aufgabe. Eine Herausforderung.“ „Er könnte mein Badezimmer renovieren“. Kalli deutete auf den feuchten Gehweg. „Irgendwo muß etwas undicht sein.“ „Vergiß es, Max hat kein Talent zum dichten. Aber falls du mal umziehst, hilft er dir bestimmt gerne für wenig Geld beim Schleppen der Möbel.“

„Wenn Du es sagst ... Kann ich dir etwas anbieten? Scotch? Martini? Burdon?“ „Leider keine Zeit. Aber vielleicht heute abend, wenn ich nach Hause fahre?“ „Oh. Heute abend ist schlecht. Bin zu einem UNO-Bankett eingeladen. Mußte wegen mir schon zweimal verschoben werden. Kann man nichts machen.“ „Na dann, bis morgen!“ sagte Lisa.

„In vierundzwanzig Stunden“ murmelte Kalli, während er sich wieder seiner Morgentoilette zuwandte. Er hatte nicht die blasseste Ahnung.

An einem anderen Ort, zur selben Zeit (was eigentlich gar nicht möglich ist), schauen zwei Augen prüfend auf eine Rolex (eine echte!). Der Besitzer sowohl der Augen als auch der Rolex (kein Imitat!) hat Ahnung, und nicht nur blasse. „Leise!“ sagt er. „Es heißt ‚leise Ahnung‘. Schimmer sind blaß.“ Dann blickt er in die Augen des Trägers einer anderen Rolex (hundertprozentig Original!). „Und was ist mit dem anderen Problem?“ „Fast gelöst. Der Bananen-Gimmick erweist sich als erfolgreich.“ „Was? Der alte Bananengag? Und das funktioniert?“ „Manchmal sogar zweimal.“ Der Träger der zweiten Rolex (authentisch) wirkt sichtlich zufrieden. „Es existieren kaum noch intakte Grundfrequenzen, und die Harmonischen liegen unter 17 Prozent.“

Fünf Finger rieseln nacheinander auf eine sehr teure Schreibtischplatte hernieder. In der üblichen aufsteigenden Reihenfolge. Sichtlich unzufrieden. „17 Prozent? Das scheint mir nicht ganz zu reichen, oder?“

„Relativ, mein Bester, relativ! Durch die zweihundertprozentige Fallquote erreichen wir einen Entropieinflationsbeschleunigungszuwachs jenseits aller erwarteten Werte.“ „Der von mir erwartete WERT lautet EINS! JENSEITS von Eins bedeutet grundsätzlich WENIGER als Eins! Und weniger als Eins bedeutet jenseits aller von MIR erwarteten Werte. Und das wiederum bedeutet, daß irgend jemand seinen Allerwertesten mehr oder weniger im Jenseits wiederzufinden erwarten kann. Bringe ich in diesem Wortspiel alle relevanten Begriffe klar und deutlich unter?“

„Die Eins kommt nicht darin vor. Es sei denn, der Jemand wird damit assoziiert.“ „Dafür kann ich nicht garantieren. Uhrenvergleich?“ „Rolex. Und Du?“ Solcherlei wirres Zeug wird geredet und außerdem getrunken, geraucht und gegrinst. Die Besitzer der echtesten Uhren der Welt bedienen sich dabei eines Grinsens, welches nicht von dieser Welt ist.

„Entschuldigung, wären Sie so freundlich mir zu sagen, wie spät es ist?“ Das zittrige, blasse Stimmchen gehörte zu einem alten Mütterchen, kaum größer als ein siebenjähriges Kind. Es trug einen olivgrünen Filzhut auf seinem immer noch reich, aber grau behaarten Haupt, dessen rechte Seite tatsächlich von allerlei Obst verziert wurde*, und der es** fast ein Drittel größer erscheinen ließ.

„Tut mir leid, ich habe keine Uhr. Aber normalerweise ist es um diese Zeit immer halb Neun.“

Lisa setzte ein entschuldigendes Lächeln auf. Irgendwie gelang es ihr damit den Eindruck zu erwecken, sie wüßte, wovon sie spricht. Das kleine graue Mütterchen zog ein kleines graues Büchlein aus der Tasche ihres großen olivgrünen Filzmantels hervor, blätterte emsig darin herum und erklärte: „Es klappt alles nicht mehr so gut. In meinem Alter, verstehen Sie? Zu viele Jahre! Dreimal schwarzer Kater. Ah, hier: Acht Uhr dreißig. Ist das jetzt gut oder schlecht?“ Lisa verstand die letzte Frage nicht ganz; Lisa hatte Zweifel, ob sie überhaupt an Lisa gerichtet war. „Ich weiß nicht“, versuchte Lisa dennoch hilfreich zur Seite zu stehen. „Ach, ich altes Dummerchen. Natürlich nicht. Fehler meinerseits. Vielen Dank jedenfalls. War nett, sie kennengelernt zu haben, wissen Sie?“ Mit diesen Worten setzte die kleine Greisin ihren Weg fort, unverständliche Dinge vor sich hingrummelnd.

Lisa schaute ihr noch eine Weile nach und beobachtete, wie dieses merkwürdige Persönchen beim Gehen wie ein Metronom hin- und herwankte. (Kam es Lisa nur so vor, oder hatte da eine Made aus der Kirsche auf dem Hut der alten Dame herausgeschaut?)



[1]

Mit Zen war Max gut vertraut.