Kamelobooks:Hack fressen - eine Erzählung

Hack fressen - eine Erzählung

12 Meter bis zum Tierfriedhof, dachte sie bei sich und spülte das halbe Kilo Hackfleisch zusammen mit einem Schluck Whiskey hinunter, um es dann ruckartig wie ein Wiederkäuer aus dem Magen über die Speiseröhre wieder hervorzuholen und erneut nach unten zu befördern. Links ein Kadaver, rechts ein Kadaver und mittendrin verwesende Biomasse. Die Monate gingen ins Land und mit ihnen eine ganze Menge rohes Fleisch. Aber warum mochte sie den Geschmack von Blut und zerschredderten Knochensplittern auf einmal nicht mehr? Sie öffnete das Fenster und schleuderte das gebündelte Stück Fleisch hinaus in die Prärie. Beinahe hätte sie ein Eichhörnchen damit erschlagen! Was soll es? Der Herr gibt es, der Herr nimmt es. Und schlenderte weiter.

Früher war alles anders. Früher, das heißt vor dem Haldolurlaub. Sie hatte sich daran gewöhnt, dass ihr gesundheitlicher Zustand es dann und wann erforderlich machte, vier bis sechs Wochen in der Zwangspsychiatrie zu verbringen. Jeder dritte hier leidet an einer schizoiden Persönlichkeitsstörung, bionegative Halblinge sozusagen. Sie hatte die halbe Station S4 durchgevögelt und sich im Zwei-Tage-Rhythmus faul auf die Matte nageln lassen. Das ist eine ganz ordentliche Quote, und nun nach der dauerhaften Verabreichung von Anafranil waren die orgiastischen Feiern noch ausschweifender, der Höhepunkt noch intensiver geworden.

Irgendetwas fehlte. Vielleicht war er es. Pah! Der Krüppel mit seinen anderthalb Füßen! Sicher nicht. Schließlich hatte er die ganze Nummer in den Sand gesetzt. "Ich werde dich nur dann besuchen, wenn du das Manuskript gelesen hast.", geiferte er. - "Aber meine Konzentrationsstörungen und das ganze dreckige Delirium, das mir noch immer in den Knochen sitzt." Da war nichts mehr zu machen und erpressen lassen wollte sie sich auch nicht. Dann eben nicht.

Ob er sich die Hure mit den knochigen Fingern auch leisten kann? Immerhin hatte er noch Schulden bei ihr, der anderen. Ob er sie auch mit diesen vollmundigen Versprechungen für sich einnahm und ihr erzählte, was für ein großartiger Autor er doch sei? Oh Claire. Nun, Franz war ja auch nicht schlecht.

Nun sitzt er jeden Tag vor dem Computer, bemüht sein Analyseprogramm, um dann festzustellen, dass wieder niemand seine Webseite besucht hat. Fast niemand. Elf Sekunden schien er ihr wert zu sein und jener Arme-Leute-Geschlechtsverkehr mit ihm war letztlich nicht so schlecht wie sie befürchtet hatte. Sie weigerte sich entschieden, sich vorzustellen, wie er sie punktgenau stimulierte. Manchmal fürchtete sie sich vor seiner Männlichkeit. Aber das war ja jetzt auch vorbei.

Die zierlichen Füße der Claire Montperdu. Hatte sie zum Schluss nicht nur den Berg, sondern auch den Verstand verloren, dass sie sich manchmal dabei ertappte, wie sie sich mit einem seligen Lächeln an ihn erinnerte? Manchmal möchte sie sich bei ihm entschuldigen. Ja, ihre Unbeherrschtheit war mithin fehl am Platze - man hatte sich doch einst geliebt. Aber dann fiel ihr wieder ein, was für ein blöder Arsch er doch war.

Ein bisschen nervte das alte Rein-Raus-Spiel; jeden Tag neue Facebook-Anfragen, neue heimliche Flirts mit der Verkommenheit. Seit dem Krankenhausaufenthalt musste das so sein, schließlich war man nun wieder frei wie ein Vogel. Es war auch überhaupt nicht wichtig, wieviele Huren er sich ins Haus holte oder wieviele Lesungen inzwischen stattgefunden hatten. Ihr Leben war ja nämlich auch weitergegangen und man hatte nunmehr keinerlei moralische Verpflichtungen.

Es war spät geworden. Immer wieder wälzte sie sich vor Geilheit im Bett. Wen könnte man denn jetzt noch anrufen, damit das endlich aufhörte?

Auf zum Bücherregal