Schau: Unterschied zwischen den Versionen

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So erhielt der Ostberliner ''Palast der Republik'' schon bald nach seiner Fertigstellung von der Bevölkerung den liebevollen Namen [[Schaubude]]. Besonders beliebt waren im Osten auch die [[Schauprozess]]e unter Leitung der volkstümlichen Moderatorin [[Ben|Hilde Benjamin]], die mit aktiver Beteiligung der Verurteilten oft zu Volksfesten ausuferten und deren Übertragungen im abendlichen [[Fernsehen|Fernsehprogramm]] wahre Quotenrenner waren. Diese Veranstaltungen machten auch den schon von den [[Gebrüder Ka und Mehl Grimm|Gebrüdern Grimm]] dokumentierten Spruch „Die haben dich aber ganz schön hängen lassen“ unter den [[Genosse]]n des Landes populär.
  
 
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Im Zuge der Übererfüllung des Fünfjahresplans in Vorbereitung der Bitterfelder Konferenz 1965 propagierte das Zentralkomitee der SED das [[Schaulaufen]] zum und vom Arbeitsplatz, aber ohne nennenswerte Resonanz. Die Agitation der staatstragenden [[Frau]]enverbände für das [[Schaufenster]] als äußeres Zeichen sozialistischer Sauberkeit wurde dagegen so populär, dass sich die bundesdeutsche Regierung unter [[Bundeskanzler]] [[Band of Brothers|Willy Brandt]] („Brandy“) zur Übernahme der Initiative gezwungen sah.  

Version vom 15. Juni 2009, 00:51 Uhr

Schau ist ein jugendsprachlicher Begriff, der bis Ende der 1980er Jahre in der Zone (englisch: Twilight zone), auch Dunkeldeutschland oder kurz DDR genannt, als Neologismus auftrat. „Schau“ wurde synonym für „schön“ oder „toll“ benutzt.

Verwendung

Schauprozeß: Hinrichtung des Anführers der Leipziger Elefantenverschwörung 1953

„Ficken und saufen, sonst hatten wir ja nichts“, klagte der Ex-Staatsratsvorsitzende Erich Honecker noch kürzlich im Interview mit Johannes B. Kerner. Obwohl oder gerade weil es selten etwas zum Freuen gab, war das Wörtchen Schau im Osten Deutschlands in aller Munde.

Der modebewusste junge Mensch trägt Flokati

So erhielt der Ostberliner Palast der Republik schon bald nach seiner Fertigstellung von der Bevölkerung den liebevollen Namen Schaubude. Besonders beliebt waren im Osten auch die Schauprozesse unter Leitung der volkstümlichen Moderatorin Hilde Benjamin, die mit aktiver Beteiligung der Verurteilten oft zu Volksfesten ausuferten und deren Übertragungen im abendlichen Fernsehprogramm wahre Quotenrenner waren. Diese Veranstaltungen machten auch den schon von den Gebrüdern Grimm dokumentierten Spruch „Die haben dich aber ganz schön hängen lassen“ unter den Genossen des Landes populär.

Im Zuge der Übererfüllung des Fünfjahresplans in Vorbereitung der Bitterfelder Konferenz 1965 propagierte das Zentralkomitee der SED das Schaulaufen zum und vom Arbeitsplatz, aber ohne nennenswerte Resonanz. Die Agitation der staatstragenden Frauenverbände für das Schaufenster als äußeres Zeichen sozialistischer Sauberkeit wurde dagegen so populär, dass sich die bundesdeutsche Regierung unter Bundeskanzler Willy Brandt („Brandy“) zur Übernahme der Initiative gezwungen sah.

In den gesamtdeutschen Sprachgebrauch gingen auch die Begriffe Schauspieler für besonders gute Skatspieler, „Schaukasten“ für Fernsehgerät und „Schaufell“ für einen besonders schönen Flokatimantel über.

Heute ist der Begriff weitgehend vergessen.

Zitat

Allein, wie sie das machte, ist eine Schau.
(Ulrich Plenzdorf: Die neuen Leiden des jungen W., Frankfurt/M. 1973, S. 196)

Literatur

  • Peter Guttenhöfer (Hg): Schau ist die Welt. Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben, 1989 ISBN 3-7725-0755-7
  • Rene Walter: Fachgerechtes Einstielen einer Schaufel. München: Grin-Verlag 2005 ISBN 3638349454

Weblinks

wiki:DDR-Sprachgebrauch